Seit dem Fall der Schengen-Grenze zwischen Österreich und der Tschechischen Republik sind Niederösterreich und Mähren wieder verbunden wie zu Zeit der k. u. k. Monarchie. Ein Lokalaugenschein von Dr. Peter Soukup.
Für den Wanderer ist es ein herrliches Gefühl, wenn er das ehemalige Grenzland „drüben“ in Nikolsburg (Mikulov), bei Feldsberg (Valtice), in den Pollauer Bergen (Pavlovske vrchi) oder weiter im Westen in Znaim (Znojmo) erkundet. Endlich kann man auch die versteckten, uralten Bauernwege nutzen, die vor der Grenzziehung Jahrhunderte lang Pilger und Pferdegespanne sahen. Tagesausflüge führen uns zu romantischen Ruinen und malerischen Weinkellern. Unmittelbar am Stausee – die Thaya wurde nördlich von Nikolsburg in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts aufgestaut – liegt heute der kleine Flecken Unter-Wisternitz (Dolni Vestonice), wo man eine eiszeitliche weibliche Kultfigur fand, ähnlich unserer „Venus von Willendorf“. Wir besuchen auch das zauberhafte Kloster von Tischnowitz (Tisnovice) „Porta Coeli“, eine Gründung von Ottokar II., dem unglückseligen Widersacher von Rudolf von Habsburg, mit einem traumhaft schönen gotischen Kreuzgang.
Aber kehren wir noch einmal zur ehemaligen Grenze zurück, wo noch im Dezember der Grenzbalken den Weg verstellte: Schon von weitem sieht man von dieser Stelle aus das Dietrichstein´sche Schloss von Nikolsburg aus dem morgendlichen Dunst auftauchen. Auf der rechten Seite gegenüber steigt der „Heilige Berg“ steil zur Sebastianskapelle aus dem Jahre 1630 an.
Weinberge, so weit das Auge reicht
In der Ferne im Westen und im Osten Hügel und Hänge voll von Weinkulturen. Wein ist ein gutes Thema für die Nikolsburger: Hauptsächlich ist es Weißwein, der hier kultiviert wird, Grüner Veltliner, Rheinriesling, Chardonnay, mährischer Muskateller und die bei uns etwas seltenen, aber um so gesuchteren Sorten wie Neuburger und Sylvaner. Manche Besucher von Nikolsburg, so behaupten die Einheimischen, kommen im Schloss über die Taverne mit ihrem riesigen Holzfass – nach dem Heidelberger das zweitgrößte historische Fass der Welt – nicht hinaus. Das heutige Schloss, jahrelang renoviert, geht auf einen Plan des kaiserlichen Baumeisters Gustav Alexander Oedtl aus den Jahren 1719 bis 1724 zurück. 1945 war es nach Kampfhandlungen am 22. April fast zur Gänze ausgebrannt.
Neben der mühsamen Wiedermöblierung der letzten Jahre fand auch eine Sammlung kunstvoller Fayencen aus dem 16. und 17. Jahrhundert der hier im Asyl ansässig gewesenen Wiedertäufer ihren Platz.
Der Chef des preußischen Generalstabs, Helmuth von Moltke, berichtete anlässlich des Feldzugs gegen Österreich am 19. Juli 1866: „Dies ist das wunderbarste alte Schloss, das man sehen kann. Es war fast dunkel als wir ankamen. Wir fuhren durch drei oder vier finstere Tore zwischen Wachturm und Felswänden steil aufwärts in die engen Schlosshöfe. Alle Wände sind bedeckt mit Kardinälen, Generälen und Deutschherren der berühmtesten Namen“.
Ein Schloß voller Geschichte
Das Schloss war im 16. Jahrhundert als Schenkung Kaiser Maximilians II. in die Hände der Familie der Dietrichstein gelangt und blieb es bis zur Vertreibung nach dem zweiten Weltkrieg. Hier fanden zahlreiche Ereignisse statt, die in die europäische Geschichte eingingen: Der Friedensschluss zwischen Ferdinand II. und Fürst Gabriel Bethlen im Jahre 1622, Friedensverhandlungen mit Napoleon nach der Schlacht von Austerlitz von 1805 und die Unterzeichnung des Friedensvertrages von Nikolsburg 1866. Im 18. Jahrhundert war das Schloss der Schauplatz der Huldigung Maria Theresias durch die mährischen Stände. Einer der letzten Herren aus dem Hause Liechtenstein – sie waren die Nachfolger der Dietrichstein – erlaubte dem Führer der Wiedertäuferbewegung Balthasar Hubmaier sich mit seinen Gesinnungsgenossen in Nikolsburg anzusiedeln. Durch Verrat und List wurde Hubmaier gefangen genommen und dem Scheiterhaufen überantwortet. Die übrigen Wiedertäufer, inzwischen auf mehr als 12000 Gemeindemitglieder angewachsen, konnten jedoch noch von „ihren Herren“ geschützt werden – bis zur Niederlage des böhmischen Adels in der Schlacht am Weißen Berg (1620).
Ihren besonderen Schutz ließen die Familien Liechtenstein und Dietrichstein auch der jüdischen Gemeinde in Nikolsburg angedeihen. Viele bekannte Namen stammen aus dem Nikolsburger Ghetto: Der berühmte Prager Rabbi Löw war hier eine Zeitlang Rabbiner, Joseph von Sonnenfels (1733 – 1817), der berühmte Staatsmann und Berater von Maria Theresia wurde in Nikolsburger als Sohn des Hebräischlehrers Lipmann Perlin geboren. Der großzügige Geldgeber der Oxford-Stiftung, der spätere Rabbiner David Oppenheimer, der von seinem Onkel Samuel, dem Hoffaktor des Prinzen Eugen, ein immenses Vermögen geerbt hatte, stammt ebenfalls aus Nikolsburg. Vom jüdischen Nikolsburg ist lediglich eine von vielen Synagogen stehen geblieben, die in den letzten Jahren mustergültig restauriert wurde.
Rund um Nikolsburg
Das katholische Nikolsburg kann mit einer wunderschönen gotischen Stadtpfarrkirche, die dem Heiligen Wenzel geweiht ist, aufwarten. In einem ebenso prächtigen Zustand befindet sich die nach Jahrzehnte langem Dornröschenschlaf erweckte, im Jahre 2005 generalsanierte, imposante Dietrichstein´sche Familiengruft, die an Stelle der im Jahre 1784 abgebrannten St. Anna Kirche, einem Werk von Johann Bernhard Fischer von Erlach, errichtet wurde. In ihren Gewölben, ähnlich der Kapuzinergruft in Wien, stehen die Metall-Särge der Mitglieder des Hauses, entworfen von Theophil Hansen. Die Familie Dietrichstein hat heute noch Kontakt mit den Nikolsburgern, das letzte noch lebende Mitglied der Familie aus der Zeit der Vertreibung im Jahre 1945 lebt heute in Südamerika, ließ es sich aber nicht nehmen bei der Einweihung der Gruft im Jahre 2005 anwesend zu sein.
Nicht unerwähnt soll bleiben, dass in dem 1631 gegründeten Nikolsburger Piaristengymnasium Friedrich Simony, Begründer der Alpinistik sowie die österreichischen Bundespräsidenten der zweiten Republik Dr. Karl Renner und Dr. Adolf Schärf die Schulbank drückten. Schärf war übrigens ein geborener Nikolsburger, der am Rande des Judenviertels seine Kindheit verbrachte.
Bei Ausflügen über Nikolsburg hinaus sollte man unbedingt die nahe gelegenen Liechtenstein Schlösser Feldsberg (Valtice) und Eisgrub (Lednice) besuchen. Ganz reizvoll ist auch das sogenannte „Grenzschlösschen“ das am Rande von Eisgrub an einem künstlichen Wasserarm noch bis vor wenigen Jahren eine Oase der Ruhe war. In der Monarchie führte durch das Schloss die Grenze zwischen der Markgrafschaft Mähren und dem Land unter der Enns (heute Niederösterreich).
Zwischen all den romantischen Resten einer vergangenen Zeit in lieblicher Landschaft, zwischen Mähren und Niederösterreich, kann man sich heute wie zu Hause fühlen. In einem grenzenlosen Land.
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