Reiseglück an der Ostsee

Ruhe, Idylle und keine Touristen. An Polens Ostseeküste finden wir einen Flecken Erde auf den diese Worte zutreffen. Ein schönes Plätzchen zum Abschalten, fernab von den touristischen Hotspots. An einem See gelegen, unweit der kleinen Ortschaft Sitna Góra – etwa 40 Kilometer von Danzig entfernt – begegnen wir dem gebürtigen Neuseeländer John Borrell. Lange Zeit war er Kriegsberichterstatter für das „Time Magazine“. Jetzt schreibt er Bücher über sein Leben und verschreibt sich dem Gustieren von vorzüglichem Wein. Vor allem aber liebt er die „Kaschubische Schweiz“. Hier, nahe an der polnischen Ostsee, haben sich er und seine polnische Frau Silvia einen Lebenstraum erfüllt. Eine Oase: die Kania Lodge.

„Innerhalb von 25 Jahren haben wir es geschafft, ein Boutique-Hotel mit Seele, einen angrenzenden Weinberg, eine phänomenale Küche und einen Keller mit den besten Weinen der Welt zu schaffen“, erklärt John voller Stolz. Die Kania Lodge kann in 16 Zimmern maximal 40 Gäste aufnehmen und ist ideal um das Handy an der Rezeption zu lassen. Das Herz darf mit auf eine entspannte Reise: Kajak fahren, Lesen, Schreiben, Rad fahren, die Seele baumeln lassen. Abends gibt es dann feinste Küche. Und siehe da, sogar burgenländischen Wein finden wir auf der Getränkekarte – vom Weingut Scheiblhofer. Der Hausherr selbst versucht auch Wein zu keltern. Bis zum „edlen Tropfen“ wird aber noch einiges Wasser die Weichsel hinunter rinnen. Fünfundsiebzig Stufen führen hinunter zum hauseigenen Seezugang, wo man Paddelboote ausleihen kann. Vis à vis gibt es dazu noch einen öffentlichen Badestrand. John würde am liebsten das ganze Land rundherum aufkaufen, nur damit alles so bleibt wie es ist. Wir treffen eine Familie aus dem vierzig Kilometer entfernten Seebad Sopot, die bei John einfach abschalten möchte.

Sopot selbst ist laut. Hochfrequentiert von Touristen aus Polen. Auch aus Deutschland und Tschechien kommen die Leute. Österreicher verirren sich kaum nach Sopot. Das Ostseebad in der polnischen Woiwodschaft Pommern bildet zusammen mit Danzig und Gdingen den Ballungsraum Dreistadt. In Sopot wohnen 50.000 Menschen. Im Sommer füllen Menschmassen die längste Fussgängerzone Polens: Kaffee trinken, in exklusiven Boutiquen stöbern, das „schiefe Haus“ besichtigen. Am Abend kommt die Jugend aus Danzig, um in den Discos abzufeiern. Das erste was Ankömmlinge in Sopot machen, ist auf den einzigartigen 500 Meter langen Steg zu flanieren. Am Ende des Steges lässt sich die Küste wunderbar überblicken. Der Sandtrand vor dem Grandhotel ist gut belegt. Allerdings sehen wir nur vereinzelt Liegen. Im Sand steckende Sonnenschirme zeigen sich auch nur sparsam. „Die Polen kaufen sich lieber Sonnenschirm und Liege. Die wollen nichts leihen“. sagt unser Reiseguide Kristof. Auch Prominente zog es schon in den Kurort. Im Grandhotel (ehemals Kasinohotel) logierten schon Weltstars wie Whitney Houston und Elton John, wie auch nicht weiter nennenswerte Größen der Politik.

Eine Autostunde von Sopot entfernt bewegt sich eine Wanderdüne ostwärts. Jedes Jahr zieht sie um 3 bis 9 Meter weiter. Ein Naturwunder an der Ostsee, das sogar eine Namen hat: Lontzkedüne. Hier empfielt sich auf jeden Fall eine Wasserflasche mitzunehmen wenn man die Wildnis erkundet. Auch gutes Schuhwerk sollte getragen werden, allerdings ist der Sand, der sich zwischen Füßen und Sohlen sammelt unvermeidbar, egal welche Schuhe man trägt und nach kurzer Zeit fühlt es sich an, als ob man Bleischuhe an hätte. Man kann auch Barfuss laufen, aber der Sand wird schon mal bis zu 60 Grad heiß und man handelt sich schnell einige Brandbalsen ein. Trotzdem zahlt sich jeder Zentimeter Quälerei aus. Oben auf dem Gipfel angelangt, öffnet sich ein fantastisches Panorama. Über Sanddünen hinweg gleitet der Blick auf die dunkelblaue Ostseeküste, die hier zwischen Norwegen, Dänemark und Polen nur 16 Meter tief ist. Umsonst ist das Erlebnis nicht. Bevor man in den Naturpark rein darf, muss man Eintritt bezahlen. Beim Kiosk befindet sich ein Restaurant. Wer weniger gut zu Fuss ist, kann mit einem Elektrozug bis zum Anfang der Sandwüste fahren.

Als Ausgangspunkt für einen Trip zur Wanderdüne dient Leba. Ein winziges Fischerdorf. Das Dorf könnte genauso gut in Norwegen, Wales oder Cornwall sein. Die Fischer sprechen polnisch. So lässt sich der Ort leicht zuordnen. Frühmorgens legen die Boote mit ihrem Fang im romantischen Hafen an. Gegenüber der Anlegestelle warten bereits die Köche auf die frische Ware. Frischer kann ein Fisch nicht auf den Teller kommen wie in den Hafenrestaurants in Leba.

Ausgangspunkt für eine Reise an die polnische Ostsee ist Danzig, Zentrum der Region Kaschubei. Die ehemalige Hansestadt ist mit ihren zahlreichen Werften und dem größten Seehafen des Landes ein bedeutender Handelsstandort. Auf Schritt und Tritt begegnen einem Spuren der Vergangenheit. Und es ist kein Zufall, dass hier eine Bürgerbewegung stattfand, die Auswirkungen auf das politische Systen hinter dem „Eisernen Vorhang“ hatte. Solidarność, die Geschichte der unabhängigen Gewerkschaft, der Streik der Werftarbeiter, was in einem besonderen Museum zur Schau gebracht wird. Berührend, gleichzeitig aber auch beängstigend angesichts der aktuellen Entwicklungen rund um Europa. Das „Europäische Solidarność Zentrum“ muss man auf jeden Fall besuchen, erst dann versteht man Danzig. Das Museum zeigt die Entstehung des neuen Polens im Jahr 1980, sowie den Sturz des Kommunismus. Im ersten Stock des Gebäudes befindet sich übrigens das Büro von Lech Walesa.

Es gibt nicht viele Städte auf der Welt, die eine solche Fülle von historischen Bauten aufweisen können wie Danzig: Das „Goldene Tor“, „Lange Gasse“ mit dem Markt, Rathaus, „Neptun Brunnen“, „Grünes Tor“ und schlussendlich das „Krantor„. Besonders stolz sind die Danzinger auf den Dominikaner-Markt, der jedes Jahr gegen Ende August stattfindet. Verkauft wird alles was man verkaufen will – von der Tasche aus Kaffeebeuteln bis zum Motorrad aus den 1960er Jahren. Drei Wochen dauert der Markt an. Organisiert wird das Verkaufsspektakel seit dem Jahre 1260. Etwa 5 Millionen Touristen kommen jährlich nach Danzig nur wegen des Dominikaner-Marktes. Neben den Ständen voll Kunsthandwerk, Flohmarktware und Ramsch finden auch Konzerte aller Art ihren Weg zum Publikum. Dass es den Dominikaner-Markt gibt, verdanken die Danziger den Pilgern, die die Nikolaikirche besuchten – bereits vor Hunderten von Jahren. Entstanden ist die Kirche um 1185. Am 22. Januar 1227 übergab der pommersche Herzog Swantopolk II. die Kirche den Mönchen vom Dominikanerorden.

Von den wundervollen historischen Gebäuden sticht das bereits erwähnte Krantor hervor. Das hölzerne Gebäude wirkt wie ein Windrad, dem die Flügel gestutzt wurden. In Wahrheit ist es ein Hebewerk aus dem 15. Jahrhundert. Im Inneren verborgen hilft ein ausgeklügelter Mechanismus zwei Tonnen schwere Ladungen nur mit Muskelkraft in schwindelerregende 27 Meter zu heben. Ja, auch RedBull bediente sich einmal am Kran. Und zwar für seine Flugshow, bei der sich wagemutige Frauen und Männer in selbsgebastelten Fluggeräten von 30 Meter Höhe in die Mottlau stürzten. Aber gebraucht wurde der Kran in der Vergangenheit am häufigsten für das Verladen von Wein- und Bierfässern.

Das Bier schmeckt den Polen bekanntlich besonders gut. Immerhin schaffen es die Polen auf Rang 5 der Biertrinkernationen mit fast 100 Liter pro Kopf/pro Jahr. Das Bier ist das Eine, die üppigen Mahzeiten das Andere. Die Danziger zeigen auf dem Teller was sie alles haben. Fisch, allen voran der Hering. Von unserem Tourguide Dardu erfahren wir, dass Hering kein Fisch sei. Dann lieber Dorsch oder Lachs. Pilze, Reh, Wildschwein, Ente kommen ebenso auf den Tisch. In der Kaschubei wachsen ausserdem die besten Erdbeeren. Zum Glück für uns soviele, dass sie exportiert werden. Wenn Sie wiedermal im Supermakrt einkaufen, achten Sie auf die Herkunft der köstlichen Frucht.

In der Kania-Lodge erwartet uns heute Salat mit geräucherter Forelle und Wassermelone, schwedische Ganslsuppe und Apfel-Rhabarber-Kuchen. Nach dem Ausflug nach Danzig endlich zurück in der Oase. Beim frühabendlichen Spaziergang finden wird dann doch noch den Ostblock-Charme, nach dem wir drei Tage lang gesucht haben. Darüber freut sich Autorin und Begleitung Claudia besonders. Gefunden haben wir ihn direkt vor der Haustür von Johns Kania Lodge.

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